gerhard ist nicht mehr. persönliche subjektive
gedanken, durchzogen von seinen aphorismen //
Ein Nachruf von Armin Mutschlechner
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glück im unglück / ich konnte
gerhard in seinen letzten lebensmonaten des öfteren
begegnen / leider / leider, es waren seine letzten // die
letzten monate, die er fristete / ja, es war im spital der
fuggerstadt / die stadt, die ihn geboren 1933 / die stadt,
in welcher sich sein kreis schliessen sollte 2003 / die
umstände für unsere begegnungen nicht wonnetrunken
/ nein, beide trugen wir unser kreuz / er um zentner schwerer
und ich sorgenbeladen um meine junge familie / trotz der
umstände war's mir eine glücklich' fügung
des schicksals //
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jene die ihn nicht näher kannten, war er
ein zwiderer zoch / doch dem war nicht so / unter seinem panzer
steckte ein weicher kern / ein vielleicht zu weicher / filigran
wie eine qualle / drum wohl die zwiderkeit //
ein häufchen elend, welch mich ansprach /
eingefallen wangen und hager gestalt / nein, fett und rund hatte
ich ihn nicht in erinnerung, drum erschrak / er, eine flebo im
schlepptau / "ja hallo armin, bisch dess du?" /
verdutzt und verlegen schaute ich in zwei glänzende augen
/ ein breit zaghaft lachen, er / er nicht minder verlegen / beide
ringten wir nach worten / "ich hab dich schon gestern
hier am stock gesehen ... mit einem kleinen kind, und wusste nicht
recht ..." / ja, das war jakob, mein 15 monatiger sohn,
sagte mit vaterstolz / seine mutter liegt hier, im zimmer ...
/ "ach die blonde zierliche, die kenn' i ja, liegt im
zimmer neben mir, das ist deine frau ... was fehlt ihr?"
/ so hatten wir gesprächsstoff welcher über die situation
half / ja gerhard, das ist meine sonja, welche nicht weiss wie
ihr geschieht ... ein tinnitus sie angefahren und nun rauscht's
tag und nacht wie an einem wasserfall, UKW-frequenzen im ohr //
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"Warum schreibst du denn? Damit
ich lebe. Weisst du nicht, dass Leben tödlich ist?
Eben deswegen."
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in den letzten jahren war es still um gerhard
geworden / er ist mir in der tages-kultur-presse abgegangen /
fragte mich des öfteren was aus ihm geworden war / plötzlich
stand er da / krebs in sich / die volle haarpracht ade / falten
/ und hoffend auf heilung / "weisst du, ich habe immer
gesund gelebt ... habe zuletzt noch für einen marathon trainiert
... andere saufen und huren ein lebtaglang ... und plötzlich
der nikolaustag und die uni-klinik in innsbruck" / ja
gerhard, vielleicht hast du zu gesund gelebt, dachte ich mir /
hab's ihn aber nicht gesagt ... warum eigentlich? //
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"Dieses amphibische Dasein...
Mitunter komme ich mir wie ein Amphibium vor: einerseits
kräftig, lebensfroh, sprühend, mit Flügeln
in der Seele, dann holen mich wieder die düsteren Schatten
der Erkrankung ein. Also ein Leben in einem Zwischenreich.
Aber ich lasse mich nicht unterkriegen!" (Brixen,
Frühjahr 2003)
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er war ein gerader mich'l als mensch / als literat,
theatermann und kritiker / so hab' ich ihn in erinnerung / so
sein oeuvre / verbiss sich in der substanz / geißelte den
professionellen theaterbetrieb / ein prangerpfahl den leihenschauspielern
/ an mir hat er auch im fernen 92-jahr, als ich die freilichthauptrolle
"der lauterfressers" spielte, wenig gute haare gelassen
/ was soll's, dachte ich mir damals / "gute schriftsteller
nehmen ihren lesern die anstrengung des lesens allemal ab."
/ und kritiker?/ kompromisslos forderte er seine massstäbe
auch für andere / das ging über kurz oder lang in die
hose / das haus am weinberg liess ihn fallen / den werbekunden
sei dank! / im nachruf: "Wer in kannte, wird ihn als aufrechten
Menschen, der ohne Wenn und Aber für das als richtig Erkannte
eintrat, in dankbarer Erinnerung behalten ... unseren Professor."
/ gott verdammte hornochsen, welch' gelutschtes heuchel'n / "Verkehrte
welt. Sie köpften den satiriker anstatt der satire."
/ schliesslich die "Südtirol Nachrichten" als letzte
zuflucht / als kleine und feine heimat zum publizieren, neben
dem wolkenklang-verlag //
er strahlte strenge aus / im äusseren schlicht
und einfach wie ein stallknecht / dahinter verbarg sich ein blitzgescheiter
kopf / die steigerung wäre selig gottfried marsoner / innerlich
kam er mir oft sehr naives vor / grad so in den tag lebend, wie
einst der falschauergeist es tat / seine runden durch südtirols
dörfer und städte zog / mir ein lichtblick in der urbanen
tristesse war / freilich, planlos war er nicht / bei gott nichten,
das spiegelt schon in seiner bibliographie wieder //
die letzten lebensmonate / viel spital / wenig
daheim / respektive brixen oder bei seiner schwester in sterzing
/ ja, die schwester eine gutherzige frau, welche sich rührend
um ihn kümmerte / oder sein bruder manfred, der meiner sonja
einen strohhalm reichte / chemiecocktails zum frühstück
/ einmal hab' ich ihm ein glas honig geschenkt, worauf er mir
zwei zeilen zukommen liess /
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"DER HONIG IST SEHR GUT!"
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dann wieder ein besuch in sterzing / seine hand
halten / er lag schwach und niedergeschmettert / angeschlossen
an maschinen furchterregenden maschinen / beim anblick der piependen
und blinkenden apparaturen gedanken an meine familie / ach, bin
ich froh dass ich einen gesunden sohn hab / ach wie gut, und sonja
wird es auch noch schaffen ... das glaub ich fest / so dachte
ich in die beschwerlichen atemzüge gerhard's rein / minuten
ohne ein wort beider / nur die wärme der beider hände
/ dann sanft und weich die worte: "ich spüre wie
du mir kraft gibst ..." //
irgendwann im herbst schellte das telefon / gerhard
war dran / erkundigte sich nach meinem befinden / als wenn er
nicht zyklopischere sorgen gehabt hätte als ich / ja, seine
stimme klang nach zuversicht / er wollte seinen kampf gewinnen
/ nur um eines sorgte er sich / seine bücher in der haslacher
wohnung /
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"meine vereinsamten lieblinge
...veruntreut von mir. was wird aus ihnen werden?"
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hoff' für ihn, dass sein geistiger nachlass
in irgend einer form / in seiner gesamtheit der nachwelt / uns
erhalten bleibt //
dies telefonat war sein letztes lebesnzeichen
bei mir / von seinem tot hab ich aus der zeitung erfahren / leider
viel zu spät, als dass ich hätt' können am offenen
grab abschied nehmen, im hinteren rechten eck, im neuen teil des
sterzinger friedhofs / leider, aber gerhard wird mir's nachsehen
/ denn: "Nur die vergessenen sind wirklich tot."
/ hoff', dass der abdecker / dass er dich gerhard weich gebettet
hat / hab' dich wohl //
armin mutschlechner (mühlbach), neujahrstag
2004
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